Michael Hoffsteter: “Samtiges Timbre, silberhelle Höhe”
Die aus Ungarn stammende Sopranistin und der Pianist Jan Philip Schulze widmeten sich vor 450 Zuhörern so temperamentvoll wie feinsinnig der Klangwelt des Fin de Siècle und des Jugendstils.
Die Sopranistin Polina Pasztircsak, wurde bei dem Liederabend von Jan Philip Schulze am Flügel begleitet.
Marburg. Liederabende sind besondere Kostbarkeiten in den Programmen des Konzertvereins. Einmal weil sie nur selten angeboten werden – und nicht wenige Musikfreunde meinen: viel zu selten. Zum anderen, weil es jedes Mal gelingt, außergewöhnliche Interpreten zu verpflichten. Das war auch diesmal der Fall, wobei der Konzertverein gleich in zweifacher Hinsicht Mut bewies: Er verpflichtete eine Sängerin, die noch nicht das Renommee des beim Marburger Publikum besonders geschätzten Tenors Christoph Prégardien besitzt. Und er buchte ein Programm, in dem das klassisch-romantische Liedgut keine Rolle spielte.
Dennoch kamen am Donnerstag 450 Zuhörer in die Marburger Stadthalle, wo sie einen faszinierenden Einblick erhielten in das nur selten derart konzentriert auf dem Konzertpodium zu erlebende Liedschaffen an der Schwelle von der Spätromantik zur Moderne.
Die Klangwelt des Fin de Siècle und des Jugendstils liegen Polina Pasztirscák besonders gut in der Stimme, mit der Jan Philip Schulzes orchestral-opulente, aber auch feinsinnig-poetische Klavierbegleitung ideal harmonierte: Das samtfarbene Timbre ihres in allen Lagen und Stärkegraden mühelos geführten schlanken Soprans erwies sich als ideal nicht nur für die mit feinem Strich gezeichneten impressionistischen Farben Claude Debussys. Es blühte auf zu expressiver Leuchtkraft in den von opernhafter Dramatik bestimmten Liedern Alexander von Zemlinskys.
Sensibel und sinnlich zugleich spürte Pasztirscák den raffiniert und kühn harmonisierten Schönheiten in zwei Liedern Alma Mahler-Werfels nach, die vor ihrer Ehe mit Gustav Mahler Schülerin und Geliebte Zemlinskys gewesen war.
Immer spiegelte sich die Gefühlswelt des Gesungenen auch in der Mimik der aus Ungarn stammenden Sängerin wider, die ein originales Jugendstil-Kleid trug – und in einer dezenten Gestik, mit der sie das überbordende Temperament, aber auch die zarten Töne in den folkloristisch geprägten Liedern ihrer Landsleute Zoltán Kodály und Béla Bartók unterstrich.
In frühen Liedern von Richard Strauss und in György Ligetis 1995 entstandener, aber ganz in der Liedtradition des 19. Jahrhunderts stehender Miniatur “Der Sommer” schwang sich Pasztirscáks Sopran mühelos auf zu silberhellem Höhenglanz, um sich dann im Spätwerk von Strauss in den goldenen Farben herbstlicher Abschiedsstimmung zu verströmen.
Nach dem letzten der “Vier letzten Lieder”, der kongenialen Eichendorff-Vertonung “Im Abendrot”, bedankten sich Pasztirscák und Schulze für den lang anhaltenden Applaus des faszinierten Publikums mit einem der populärsten Strauss-Lieder, dem jugendfrischen “Ständchen”.
von Michael Arndt